Im Gebiet nördlich des Harzes existierte lange Zeit eine Hochkultur verschiedener germanischer Stämme. Der Handel blühte und dank des fruchtbaren Bodens, brauchte niemand Hunger zu leiden. Man lebte im Jahreskreis mit der Natur und der heidnischen Götterwelt. So auch in einer kleinen Siedlung in der Nähe der heutigen Stadt Thale, wo sich die Sächsin Thorunn um ihr kleines Gehöft kümmerte. Zu ihrer kleinen Gemeinschaft gehörten zwei kleine halbwaise Kinder, ein Rind, sieben Schafe, mehrere Hühner und ein wachsamer Hund. Dieser war besonders wichtig, denn im Harz gab es damals noch wilde Wölfe. Man hörte in dieser Zeit ab und an Neuigkeiten von den entfernten Sachsenkriegen Karls des Großen und schließlich von deren Ende, als sich der sächsische Fürst Hessi dem König im Jahre 775 unterwarf und zum christlichen Glauben übertrat. Danach kam eine Wolfszeit… Die Missionierung erfolgte nicht immer friedlich und durch das ganze Land zogen marodierende Banden, die neben dem neuen Glauben, nichts als Tod und Verderben hinterließen…
Irgendetwas schien den Hund zu beunruhigen. Kurz danach gab der Wachposten Signal. Er hatte eine schwarze Wolke am Horizont ausgemacht… Ein ganzes Banner fränkischer Panzerreiter war auf dem Weg in Richtung der Siedlung. Der Älteste rief alle Wehrfähigen zu den Waffen. Er wusste: Ein Sieg war aussichtslos, doch konnte man den Greisen, Frauen und Kindern etwas Zeit verschaffen, damit diese die nahegelegene Fliehburg an der Roßtrappe, dem mächtigen Sachsenwall, erreichen können. Thorunn war eine wehrhafte Frau: Sie ergriff schnell ihren Schild, eine Frame sowie ihre Wurfaxt und machte sich mit ihren Gefährten auf den aufsteigenden Pfad zur Fliehburg. Das Donnern der Hufe wurde immer lauter und kaum hatten sie den Wald erreicht, hörte man, wie die Reiter krachend auf den Schildwall trafen. Es ertönten Lärm und Kampfgeschrei und kurz darauf sah man schon die ersten Rauchschwaden aus dem Ort emporsteigen. Thorunn wusste, dass die Franken nicht Halt machen, sondern weiter nach ihnen suchen würden. An einer Engstelle machte sie halt. Hier würde sie mit anderen Schildmaiden die Verfolger aufhalten. Die Frauen sahen dabei zu, wie der Tross langsam den Berg hinauf zog. Sie nahmen die Helme ab und beteten zu ihren heidnischen Göttern. Sie baten Göttervater Wotan um Rat, Tyr um Kriegsglück, Donar um Stärke sowie Freja um Beistand. Dann war es soweit: Die fränkischen Ritter waren abgesessen, kamen zu Fuß näher und es entbrannte ein unbarmherziger Kampf. Plötzlich erschrak Thorunn, als sie ihre Kinder hinter sich stehen sah. Sie riss sich zusammen, lächelte noch einmal und sagte: „Lauft meine Kinder, schnell! Ich bin immer bei euch und werde euch beschützen!“. Thorunn kämpfte tapfer bis zum Ende. Sie war bereits im Gesicht gezeichnet, als sie den Todesstoß erhielt und ihr Leben aushauchte. Doch der Atem wurde zu Wind und dieser verformte sich zu einer Gestalt, einem Geist, der noch wilder auf die fränkischen Ritter einschlug und diese letztendlich zurücktrieb…
Man erzählte sich noch lange diese Geschichte: Die Götter hatten Thorunns Flehen erhört! Was viele heute nicht mehr wissen: Man wandelt auf Thorunns Pfaden, wer heute den Mythenweg in Thale erkundet. Dabei kann man so einiges über die heidnischen Götter erfahren, die vor langer Zeit Thorunn unterstützt haben. Auch von der ehemaligen Fliehburg nahe der Roßtrappe kann man noch Spuren erkennen. Der Sachsenwall wird heute auch Winzenburg genannt. Gebt Acht.