Es war in einer kalten Dezembernacht des Jahres 1908, als der Pförtner der Johanniter-Heilanstalt auf dem Ochsenberg bei Sorge eine merkwürdige Gestalt auf dem Weg erblickte, die durch den Wintersturm angeritten kam. Er musste sich seine müden Augen reiben, denn er meinte dabei ein dreibeiniges Pferd gesehen zu haben… Die Reiterin war ganz weiß-gefrorenen, schüttelte sich kurz und stellte sich als die neue Schwester Helrun vor, die vom Mutterhaus der Johanniter aus Halle geschickt wurde.
Die Klinikleitung hatte gerade Dr. Pigger übernommen und er war froh über jede Hilfe, die er bekommen konnte. Schwester Helrun lebte sich schnell ein. Sie war freundlich und doch unnahbar, hilfsbereit und fordernd, geheimnisvoll, unnachgibig. In manchen Situationen blitzten ihre Augen hell auf. Niemand wagte ihr zu widersprechen. Es kam sehr selten vor, dass unheilbare Patienten eingeliefert wurden. Schwester Helrun übernahm deren Aufnahme und hatte so eine ganz besondere Ader zu den Todgeweihten. Ihre Vorhersagen über den weiteren Verlauf der Erkrankungen stimmten zu 100 Prozent. So spielte es für Dr. Pigger auch keine Rolle mehr, als er später erfuhr, dass das Mutterhaus in Halle im Winter 1908 keine Verstärkung geschickt hatte…
So verging die Zeit und Klinikleiter kamen und gingen. Nur Schwester Helrun blieb erhalten. Niemand bemerkte, dass sie kaum alterte. Sie behielt diese mystische Ausstrahlung mit den beiden Seiten: Leben und Tod. Als die Klinik im Dezember 1967 geschlossen wurde, nahm Schwester Helrun ihre Tasche und verschwand im Wintersturm…. Danach soll sie in anderen Einrichtungen der Region gesehen worden sein. Wenn Du sie siehst, gib Acht, welche ihrer Seiten dir zugewandt ist!