Pecora, der Wildhüter und das Hirschdenkmal zu Stolberg

Vor gut 120 Jahren befand sich das Fürstenhaus zu Stolberg auf seinem Höhepunkt. Das Schloss war bereits modern ausgebaut und prunkvoll eingerichtet. Die Fachwerkstadt selbst blühte auf und geschäftiges Treiben war in allen Gassen anzufinden. Damals lag noch das Jagdrecht alleinig in adeliger Hand, wovon regelmäßig Gebrauch gemacht wurde. Dabei gab es nur eine einzige Einschränkung: Durch die Buchenwälder streifte ein kapitaler weißer Hirsch. Dieses fast schon geisterhafte Wesen existierte, solange man sich erinnern konnte. Jedem Jäger war es strengstens untersagt, dem Tier zu nahe zu kommen. Es hieß, dass es derjenige Hirsch sei, der vor langer Zeit dem damaligen Grafen von Stolberg gezeigt hat, wo dieser seine Burg errichten solle. Der Hirsch und das Grafenhaus waren seither magisch verbunden. Diese Geschichte wurde noch auf dem Sterbebett vom Fürsten Alfred zu Stolberg an seinem Sohn, dem Erbgrafen Wolfgang zu Stolberg, weitererzählt: „Solange die Buche auf den Bergen steht – Solange der Hirsch zu Walde geht – Solange blüht Stolbergs Stamm!“
Der Erbgraf Wolfgang gab jedoch nichts auf diese alten Geschichten und begab sich drei Tage später mit einigen Gehilfen auf die Jagd. Als sie den weißen Hirschen sahen, wollte er sich diese Trophäe nicht entgehen lassen und blies das Horn. Das Tier flüchtete, doch die Jagdgesellschaft setzte nach und trieb es an den Rand einer Klippe. Schnaubend stand der Hirsch da und schüttelte den Kopf mit dem mächtigen Geweih! Doch die Jäger ließen sich nicht davon beeindrucken und rückten weiter auf den Hirschen vor. Schließlich bäumte sich das Tier auf und röhrte mit aller Kraft, so dass dieser Hilferuf bis nach Stolberg zu hören war. Doch im nächsten Augenblick war der weiße Hirsch verschwunden und die Jäger schauten den Erbgrafen ratlos an. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, Sturm kam auf und man hörte gleichmäßiges Donnern. Wie herannahende Schritte, wurde es immer lauter. Eine schaurige Gestalt bewegte sich auf sie zu, breitete die Arme mit den messerscharfen Klauen aus und senkte die knöcherne Stirn, welche ein furchteinflößendes Geweih trug. Nun waren die Jäger die Gejagten und wurden immer weiter dem Abgrund zugetrieben. Dieser Jagdausflug nahm kein glückliches Ende, denn niemand ist an diesem Tage zurückgekommen. Jahre später errichtete der Harzklub das Hirschdenkmal an der fürstlichen Reitallee, wo der beeindruckende Hirsch aus Bronze nord-westlich des Schlosses zu bewundern ist. Manche Wanderer behaupten, dass der große weiße Hirsch noch heute durch die Wälder streift und dabei von Pecora begleitet wird. Dieser uralte Naturgeist hält schützend seine Hand über ihn. Gib Acht, wenn Du den weißen Hirsch siehst, denn dann ist auch Pecora, der Wildhüter, nicht weit!