Wo jetzt die neuen Häuser vom Hospital St. Gangloff vor Sangerhausen bis zur Mühlgasse sich hinziehen, waren früher tiefe Schluchten, längs deren ein fast unzugänglicher, mit Bäumen bepflanzter Weg sich hinzog. Wer es vermeiden konnte, ging diesen Weg nicht, und nur, wer von der Rabenmühle schneller zum Neuen- oder alten Dorf kommen wollte, schlug ihn ein, dann aber auch mit Zittern und Zagen, denn auf diesem Wege haust die „Tratschbarbe“, ein großes, schwarzes Ungetüm mit dichtem Fell und raubfischähnlichem Kopfe, in welchem mächtige Augen leuchten, „so groß wie Käsenäpfe.“ Es tut niemanden etwas zu Leide; aber jeder, der den Weg zurücklegt, muss es eine Strecke tragen.
Einst ging ein Mann noch spät von der Rabenmühle diesen Weg, um nach dem Neuendorf zu gehen. Da fühlte er plötzlich, wie ihm eine schwere Last auf den Rücken sprang, so dass er keuchend unter der Bürde und von Angstschweiß am ganzen Leibe überströmt, am Hospitale ankam. Dort sprang plötzlich das finstere Ding wieder ab, und der Mann fiel erschöpft und „wie aus dem Wasser gezogen“ nieder.
Auf demselben Wege kam einst ein beherzter Schuhmachergeselle spät von einer Hochzeit zurück. Es schlug gerade dreiviertel auf Ein Uhr, als er in die Mitte des verrufenen Weges kam. Bald sah er vor sich die Tratschbarbe hintrotten und mit seiner Beherztheit war es vorbei. Da wandte sich dieselbe nach ihm um und kam mit gräulichem Grunzen auf ihn zu. Schnell erkletterte der Schuster einen Baum, um sich vor dem Ungetüm zu retten. Als das Ungetüm den Baum erreichte, schlug es vom nahen Kirchturme gerade Ein Uhr. Da sprach es mit tiefem Tone: „Schlüg es grad nicht Eine, so zerbräch ich Dir die Beine!“ und verschwand.
Der Marstall, ein altes, zerfallenes Gebäude, war ehemals der Hauptsitz der Tratschbarbe, und jedermann beeilte sich, abends spät an dem auch nachts geöffneten Torwege desselben vorbeizukommen, um nicht von der Tratschbarbe erwischt zu werden. Ein mutiger Bursche wartete eines Abends vor dem Torwege auf das Ungetüm, welches auch bald mit lautem Grunzen aus einem der verfallenen Ställe hervorbrach. Da plagt den Buschen der Teufel, das Tier mit einem Steine zu bewerfen, das nun wie rasend auf ihn zustürzte. Schnell gab der Bursche Fersengeld und gelangte, seiner Sinne kaum mächtig und unablässig von der Tratschbarbe verfolgt, durch die Grauengasse auf den jetzigen Graben, das eigentliche Revier derselben, wo er in seiner Angst einen Abhang im alten Stadtgraben hinunterkullerte. Die Tratschbarbe ist ein Drück- und Plagegeist, welche in unheimlichen Gegenden ihr Unwesen treibt. Andere wiederum können einem sogar bis ins eigene Schlafzimmer folgen… Gebt Acht!